Vom Kappenfest zur Prunksitzung

 

Von Karnevalsveranstaltungen im Königsee des 19. Jahrhundert wissen wir nichts. Möglicherweise wurden sie genauso vereinsintern durchgeführt, wie in den meisten kleineren Städten Deutschlands. Und diese Vereine waren dann nicht einmal Karnevalsvereine, sondern Schützen- oder Turnvereine, die eben einfach mit einer Kappe auf dem Kopf den Rosenmontag feierten. Außerdem waren die Thüringer lange Zeit Karnevalsmuffel im Vergleich mit dem Rheinland.
In Königsee war es vermutlich der Schützenverein, der die ersten Tanzveranstaltungen anläßlich der Fastnacht veranstaltete. Nachgewiesen ist nämlich eine Karnevalsveranstaltung im Jahre 1909 mit dem Königseer Schützenverein als Veranstalter.
Ansonsten ging es wohl zu, wie in anderen Vereinen auch: Verbot des Karnevals 1918, wieder kurzes Aufblühen um 1927 in den “goldenen Zwanzigern”, Übernahme der fastnachtlichen Traditionen im “Dritten Reich” 1933 in die Organisation “Kraft durch Freude” oder Verbot. Während des Krieges bestand verständlicherweise kaum Interesse an Karnevalsveranstaltungen. Und auch danach nicht, zumal die Besatzungsmächte jede “Zusammenrottung” als gefährlich empfanden.
Eines darf man jedoch nicht vergessen: Die Pflege des fastnachtlichen Brauchtums war zu jeder Zeit weiter in der Bevölkerung verwurzelt, sei es durch Heischeumgänge der Kinder oder Austreiben des Winters auf die eine oder andere Weise.

 

 

Es sind schwere Zeiten, die den Neubeginn begleiten

 

Im Jahre 1946 leben in verschiedenen Behelfsheimen Umsiedler aus allen Teilen Deutschlands. Sie wurden in den Kriegswirren vertrieben oder umgesiedelt. Darunter befanden sich auch einige Rheinländer aus der Umgebung Kölns.
Diesen steckte ja gewissermaßen der Karneval im Blut. Also trafen sie sich zu Fastnacht im damaligen “Cafe Richter” und feierten im engen Kreise, wie sie es von zu Hause gewöhnt waren und erstmals wieder durften. Die Königseer bekamen schnell mit, daß hier irgendwas besonderes lief und einige gesellten sich zu den fröhlichen Treiben. Dort erfuhren sie von den Kölnern, was es mit dem Karneval auf sich hat und wie er in Köln begangen wird. Die Art und Weise des rheinischen Karnevals gefiel den meisten Königseern ausnehmend gut - vor allem Mitgliedern der Feuerwehr.
So beschlossen sie, im kommenden Jahr wieder zusammenzukommen und das ganze im größeren Rahmen zu veranstalten. Die Sportler der Sektion Handball schlossen sich an und am 16. Und 17. Februar 1947 fand bereits die erste Karnevalsveranstaltung nach dem Krieg in Königsee statt.
Da die Sektion Handball der BSG (Betriebssportgemeinschaft) Königsee der Hauptträger dieser Veranstaltungen war, lag es nahe, ein karnevalistisches Handballspiel zur Aufführung zu bringen. Und so standen sich am 16.2.1947 auf dem Sportplatz die Mannschaften “Runxendorf” und “Klotzdorf” gegenüber und lieferten sich zum Gaudi der zahlreichen Zuschauer eine wilde Schlacht.
Am folgenden Rosenmontag riefen die Handballer zum großen Kostümfest in den Räumen der Gastwirtschaft “Sommer”, der späteren “Altdeutschen”, auf und kündigten die größte Karnevalsveranstaltung von Königsee an. Es spielte die Kapelle “Streletz” (oder Strzeletz?) und der Abend wurde ein voller Erfolg.
In den folgenden Jahren reichte bald die Kapazität der Gaststätte Sommer nicht mehr aus und man zog in das Kulturhaus der Fa. “Stock & Co” (später Werkö) um. Im Jahre 1949 fand dort die erste Veranstaltung unter dem Motto “Alles unter einem Hut” statt.


 

Erste Veranstaltungen im Kulturhaus (ehem. Schützenhaus) und der spätere 1. Präsident Franz Bradatsch

 

 

Nachdem Feuerwehr und Handballer erfolgreich die ersten Veranstaltungen bestritten hatten, wurde der Kreis der aktiven Karnevalisten immer größer. Obwohl die Kölner Umsiedler zum größten Teil längst wieder weg waren, beschloß man, den Karneval richtig nach rheinischer Art zu begehen. Mit einem Hauch thüringer Eigenheiten natürlich. Der richtige Mann dafür war Franz Bradatsch, dem ein gebürtiger Kölner namens Bosny zur Seite stand. Man nahm erneut die Kontakte zu Kölner Karnevalisten auf und am 30. Januar 1955 wurde der Karnevalsverein der Sektion Handball der BSG Königsee gegründet.
Zunächst gelang es nicht, einen kompletten Elferrat auf die Beine zu stellen. Denn Karneval feiern ist etwas anderes, als Karneval zu organisieren - und das noch dazu nach Kölner Art. Schließlich hatte man wenigstens fünf Leute zusammen, die das Wagnis auf sich nahmen. Es waren neben Franz Bradatsch, der den Präsidenten machte, noch W. Hutschenreuther, F. Meißner, G. Schmidt und Wirsching. Natürlich konnten sie sich nicht Elferrat nennen, aber die Bezeichnung “Fünferrat” traf schon zu.
Doch die Königseer stehen dem neuen Treiben mit Umzug, Marschieren, Narrenkappen und dergleichen noch sehr skeptisch entgegen. Es war eine mühevolle Arbeit, ihnen so nach und nach den karnevalistischen Geist einzuhämmern. Doch es lohnte sich: In den Jahren 1955 bis 1959 fanden in der Stadt die legendären Karnevalszüge statt, an denen sich große Teile der Bevölkerung beteiligte.

 

 

Der Umzug 1958 war einer der aufwendigsten in dieser Zeit: Vorbeimarsch Rathaustreppe ist in Königsee Pflicht

 

 

Natürlich bekamen die Karnevalisten auch prompt Ärger mit der Staatsmacht in Form eines übereifrigen Polizisten. Diesen störte ein von der Feuerwehr mitgeführter alter Kavallerie-Säbel. Als verbotene Waffe wurde er beschlagnahmt und an Ort und Stelle vernichtet.

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  Jochen Baumann
   
 
(Fortsetzung nachzulesen in der Chronik "Vom Kappenfest zur Prunksitzung" ab Seite 49